R. stellt aus:
Bilderwelten
Vernissage: 05.06.2025 – 18.00 Uhr
Finissage: 03.07.2025 – 18.00 Uhr
Jeder Mensch ist ein Künstler. Mit dieser bis heute provozierende Aussage stellte Joseph Beuys 1978 im Rahmen seines Projekts „7000 Eichen“ auf der documenta in Kassel ein radikal erweitertes Kunstverständnis vor: Kunst nicht als exklusives Fachgebiet, sondern als gesellschaftliche Gestaltungskraft. Seine Idee: Jeder Mensch trägt das Potenzial in sich, kreativ und sinnstiftend zu handeln – im Alltag, im Dialog und im Denken.1
Diese Idee hat viele Bereiche durchdrungen: Pädagogik, Popkultur, digitale Netzwerke. Kreativität ist sichtbarer denn je. Und doch – wie Pierre Bourdieu bereits 1979 in „Die feinen Unterschiede“ analysierte – bleibt der Zugang zu kultureller Sichtbarkeit durchzogen von symbolischen Grenzen. Teilhabe an Ausstellungen und künstlerischer Repräsentation ist selten voraussetzungslos. Auch heute markieren viele Ausstellungssituationen eine Schwelle, deren Überschreitung Mut verlangt.2
In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Ausstellung „R. stellt aus: Bilderwelten“ – und überwindet es zugleich. Nicht mit einem theoretischen Statement, sondern mit Bildern.

Die Werke von R. lassen sich nicht ohne Weiteres in Kategorien einordnen. Sie entstehen jenseits akademischer Prägung, ohne sichtbare Anlehnung an kunsthistorische Traditionen. Und dennoch sprechen sie eine starke bildnerische Sprache: still, verspielt, manchmal heiter – und doch eigentümlich eindringlich.
Es sind Zeichnungen, in denen sich kleine, eigensinnige Welten entfalten. Nichts wirkt geplant im konventionellen Sinne, und doch scheint jedes Detail genau am richtigen Ort. Linien wuchern, Figuren tauchen auf und verschwinden wieder, Räume öffnen sich in alle Richtungen – als wüchsen sie von innen heraus. Was hier entsteht, ist keine Illustration, sondern eine bildnerische Denkarbeit: offen und poetisch.
Seine Bilder folgen keiner institutionalisierten Logik, sondern entwickeln eine eigene Ordnung. Eine Kunst, die sich nicht über Kunst definiert – sondern über ihre Wirkung, ihre Welthaftigkeit.
Nichts wirkt geplant im herkömmlichen Sinn, und doch scheint alles genau da zu sein, wo es hingehört.
Die Ausstellung „R. stellt aus: Bilderwelten“ des Kumulus im KufA Haus zeigt keine klassische Werkschau, sondern gibt Einblick in ein zeichnerisches Werk, das sich durch Konsequenz, Eigenständigkeit und innere Kohärenz auszeichnet. Zwischen strukturierenden Linien, dichten Flächen und wiederkehrenden Motiven entstehen Zeichnungen, die zugleich intuitiv wie methodisch wirken – als Ergebnis eines konzentrierten, fortlaufenden Prozesses.
Wir werfen einen genaueren Blick auf diese „Bilderwelten“: auf ihre Themen und ihre zeichnerische Eigenlogik – und auf das Spannungsverhältnis von Nähe, Fremdheit und Empfindung, das ihnen innewohnt. Es gibt Bilder, die man nicht einfach nur anschaut – man bleibt an ihnen hängen, wie an einem Gedanken, der sich nicht so leicht abschütteln lässt.
Der Künstler R. bleibt anonym. Diese Entscheidung ist keine Pose, sondern eine bewusste Geste: Die Werke sollen für sich sprechen, sich öffnen – nicht über eine Biografie, sondern über ihre Wirkung. Damit stellt sich R. gegen die gängige Praxis, Kunst über Namen, Labels oder Curriculum Vitae zu legitimieren.
Und dennoch ist sein Auftritt alles andere als zurückhaltend.
Der Akt des Ausstellens wird hier nicht zur Selbstdarstellung, sondern zur Öffnung.
Ein besonderer Aspekt dieser Ausstellung ist ihr Rahmen: Alle Erlöse aus dem Verkauf der Werke gehen an das Städtische Klinikum in Braunschweig. Damit wird „Bilderwelten“ nicht nur zu einem künstlerischen Ereignis, sondern zu einer Geste der Offenherzigkeit.
Diese Ausstellung erinnert daran, dass künstlerisches Arbeiten auch jenseits etablierter Kontexte seine Bedeutung entfalten kann. Dass es Räume geben muss – und geben kann – für andere Stimmen, andere Linien, andere Ordnungen.
Gez.
Marie Kara Michalski B.A., Kunstwissenschaftlerin
(Co-Lektorat: Jürgen May M.A.)
Öffungszeiten:
Donnerstag 17.00 – 20.00 Uhr
Sonntag 13.00 – 16.00 Uhr
Bei Anfragen sind auch weitere Termine möglich
Open Gallery bei allen Veranstaltungen im KufA Haus
1 Klaus Staeck, Johannes Stüttgen (Hrsg.): Beuys reden. Die Diskussion zur documenta 7. FIU Verlag, Wangen 1985, S.39.
2 Weinhardt, Martina: „Ich bin auf dem Mond wie andere auf ihrem Balkon“ in: Ebd., Max Hollein (Hrsg.): Weltenwandler – Word Transformers, Die Kunst der Outsider, Frankfurt 2010, S. 15.
