Die Textur einer angeschnittenen Blutwurst
Eine Ausstellung von Rike Kreyenborg & Jakob Dirkes
Vernissage: 24.04.2025 – 18.00 Uhr
Finissage: 25.05.2025 – 18.00 Uhr
In der Geologie bezeichnet ein Konglomerat die Verbindung verschiedenartiger, abgerundeter Gesteinsfragmente, die von feinkörnigem Bindematerial zusammengehalten werden – wie Kiesel, Geröll oder Sand. In der Ausstellung „Die Textur einer angeschnittenen Blutwurst“ wird dieses Bild zum Ausgangspunkt einer künstlerischen Annäherung an Struktur, Körper und Oberfläche. Der sogenannte Wurststein – eine Mischung aus Fragment und Matrix – steht dabei metaphorisch für das ästhetische Zusammenspiel zweier Positionen, die sich in Reibung begegnen und sedimentieren.
Eine dieser Positionen ist die der Künstlerin Rike Kreyenborg. In ihrem Werk transformiert sie Empfindungen in Materialität, übersetzt Affekte in Malerei und textile Skulpturen. Inspiriert von Natur, Wahrnehmung und feministischer Initiative verleiht sie dem Ausstellungsraum eine „feminine“ Perspektive – sinnlich, verletzlich und zugleich politisch aufgeladen.

Ihre Werke fordern Resonanz, nicht Konsum; sie appellieren an Mitgefühl, nicht an Bewertung. Sie erzählen von einem Leben jenseits der Leistungsgesellschaft – nah am Körper, nah an der Natur. Kreyenborg arbeitet mit Gefühlen – nicht als Thema, sondern als Substanz, ähnlich wie die Natur in ihren Formen und Strukturen mit uns kommuniziert, ohne dass Worte nötig wären. Ihre Malereien und Skulpturen sind keine Abbilder von Emotionen, sondern deren Spuren – Fragmente eines inneren Echos. Jede Naht, jede Linie, jeder Strich scheint auf eine Bewegung im Inneren zu antworten – als würde das Bild selbst atmen, zittern, sich erinnern.
Es ist eine Kunst der feinen Verschiebungen, der sensiblen Verdichtungen – und der leisen Widerstände. Kreyenborg verwebt das Äußere mit dem Inneren, das Materielle mit dem Affekt. Ihre Werke sind wie Gefäße: offen für die Projektionen der Betrachter*innen, berührbar und zugleich zurückhaltend. Sie laden ein – nicht zur Deutung, sondern zum Mitfühlen.
Für eine Ästhetik, die sich nicht über Lautstärke behauptet, sondern über Nähe.
Im Dialog mit dieser Position steht das Werk von Jakob Dirkes.
Seine malerischen Arbeiten oszillieren zwischen Abstraktion und Landschaft. Aus Versatzstücken entstehen neue Bildwelten, in denen Tektonik, Pigment und Linie ein Spannungsfeld eröffnen. Seine Malerei schöpft aus geologischen und wissenschaftlichen Bildtraditionen ebenso wie aus persönlichem Erleben – und spielt mit der Illusion, Natur sei eindeutig lesbar.
Doch sie ist es nicht. Natur ist wie die Aura eines Sonnenuntergangs – so nah und doch so fern, so präsent und doch unerreichbar. In jeder Bildfläche liegt ein Echo von etwas Vertrautem, das sich zugleich entzieht. Daraus entsteht eine Abstraktion, die sich unseren Sehgewohnheiten entzieht.
Dirkes Bilder entfalten sich nicht als Abbild, sondern als Gelände der Wahrnehmung. In fließenden Übergängen und präzisen gesetzten Brüchen kartografiert er eine Welt, die es so nicht gibt – und vielleicht nie gab. Es sind topografische Erfindungen, die an geologische Schnitte erinnern und unsere Sehgewohnheiten aufrufen, ohne ihnen zu entsprechen. Jede Form bleibt fragmentarisch, jeder Raum offen, jeder Versuch der Einordnung ein Balanceakt.
Was wie Landschaft beginnt, verliert sich im Moment der Betrachtung. Hier wird nicht erzählt, sondern verhandelt – nicht in Worten, sondern in Schichten. Es geht nicht um eine Geschichte, sondern um das, was zwischen den Diskursen liegt: Erinnerung, Vorstellung, Projektion.
Im Kumulus KufA Haus begegnen sich diese beiden künstlerischen Haltungen auf dichte Weise: Kreyenborgs körpernahe Empfindungstopografien treffen auf Dirkes abstrakte Seherkundungen. Es entsteht ein ästhetisches Konglomerat – eine subjektive Topografie, in der sich Texturen überlagern, Körper andeuten und Bedeutungen schichtweise entfalten. Wie die Einschlüsse in einer angeschnittenen Blutwurst offenbaren sich Fragmente, Spuren und Sedimente zweier künstlerischer Welten, die sich nicht vereinheitlichen, sondern in ihrer Unterschiedlichkeit produktiv begegnen.
Gez. Jürgen May; Kunstwissenschaftler
Öffungszeiten:
Donnerstag 17.00 – 20.00 Uhr
Sonntag 13.00 – 16.00 Uhr
Bei Anfragen sind auch weitere Termine möglich
Open Gallery bei allen Veranstaltungen im KufA Haus
